Freitag, 9. August 2013

Lexa- Ablenkung und so

Tagebuch, super Idee, da muss ich Kristin wirklich zustimmen... Tiffany wollte es aber machen, also habe ich nachgegeben, immerhin schreiben wir alles zusammen. Das hier ist so gar nicht mein Stil. Alles in mir schreit danach alles zu vergessen, nach Ablenkung. 
Vor einigen Wochen, ach was, es ist mehr als einen Monat her, da hat Melody mir ein Bild mit folgendem Spruch geschickt: Stranger think I'm quiet, my friends think I'm outgoing and my best friend knows I'm completly insane.
Ich habe das Bild als Hintergrund auf meinem Handy installiert, mir hat gefallen wie es gepasst hat. Wenn man mich einfach so auf der Straße sieht, wird man mich wohl so schnell wieder vergessen wie man mich gesehen hat. Ich halte nicht viel von "YOLO" und diesem Mainstream-Wahn, laut dem "normal" sein ein richtiges Verbrechen ist, auch wenn keiner einem sagen kann, was normal eigentlich genau bedeutet. Deshalb mache ich mir auch nicht so eine Mühe, auffällig zu sein. Nicht dass ich mich wie eine Nonne kleide und Schminke für mich eine Erfindung des Teufels ist, die man um jeden Preis meiden muss- Nein, so bin ich nicht. Ich liebe es mit Melody shoppen zu gehen (ode habe es geliebt), und von allen meinen Freunden habe ich wohl den meisten Nagellack, aber um Aufzufallen, richtig aufzufallen, ist das nicht genug, das weiß jeder. Aber ich schweife ab. Wo war ich noch mal gewesen? Ach ja, das Bild. Und Ablenkung, vor allem Ablenkung.
Jeder hat Hobbys, mit denen man sich ablenken kann. Regelmäßig trainire ich mit Chione, einer Freundin von mir und wenn mich der Schulstress zu erdrücken scheint oder so, dann hängen wir auch mal eine Stunde dran. Wir haben immer viel Spaß und erzählen uns die unterschiedlichsten Sachen, aber was Melody und ich schon erlebt haben, das ist noch eine Klasse für sich. Ein Beispiel? Okay. Also vor einem halben Jahr oder so, da gab es mal wieder den üblichen Klassenarbeitsstress und an einem Wochenende beschlossen wir Pause zu machen und guckten uns unsere Lieblings-Kinderfilme noch einmal an. Nach "Findet Nemo" und "Shrek" kamen wir auch zu den "Wilden Kerlen". Teil eins. 
"Gott, waren die da noch süß und klein", meinte Melody.
"Ja, die ersten Teile sind einfach super. Eins, zwei und vielleicht auch noch drei, danach wird's unnötig!"
Wenn ihr den Film kennt, dann wisst ihr wahrscheinlich, welche Stelle ich nun beschreiben möchte: die Mutprobe. Vanessas verrückte Oma sagt ihnen, sie sollen eine Mutprobe machen. Sie sagt auch genau welche.
Melody grinste mich an. "Das würde ich auch mal gerne machen!"
Ich musste auch grinsen, die Idee war eigentlich total absurd. Aber halt nur eigentlich. "Warum nicht?" 
 Melody schaute mich total perplex an. Und ich musste nur noch mehr grinsen.
Und glaub mir, wenn etwas ablenkt, dann um elf Uhr nachts aus dem Haus schleichen und von einem ungefähr acht Meter hohen Vorsprung in einen See springen. Natürlich sehr gefährlich, es hätte so viel schief gehen können. Aber wir hatten Glück. Egal was wir angestellt haben, wir hatten immer Glück. Bis vor ein paar Wochen jedenfalls.
Aber alles auf Anfang:

Ich saß mit meiner Schwester am Frühstückstisch. Der letzte Schultag! Wir warteten auf Melody, sie holte uns immer ab und wir gingen dann gemeinsam zum Bus. Wie gewöhnlich klingelte sie nicht, sondern kam durch die offene Terassentür. Ich stand auf und ging zu ihr. Wir sparten uns eine Begrüßung, statt dessen grinste ich: "Countdown?" 
Im Chor begannen wir: "ZEHN...NEUN...ACHT...SIEBEN...SECHS...FÜNF...VIER...DREI...ZWEI!!!!!" Wenn wir die ersten Zahlen noch in einer normalen Lautstärke gesagt hatten, so schrien wir die letzten. Meine Schwester verdrehte blos die Augen. "Ehrlich mal, ihr macht eine Berlintour mit einer Jugendorganisation und keine Weltreise!"
"Ach ne", erwiederte ich eine Spur schärfer als geplant.
Melody lachte. "Kommt, sonst verpassen wir noch den Bus!"

Wir verpassten den Bus, aber es war schließlich der letzte Schultag und es kümmerte keinen. Nicht wirklich. Erst jetzt wird mir bewusst, wie viel dieser Tag, der letzte Schultag als neunte Klasse, wirklich bedeutet hat. Denn für Melody war es wirklich der letzte.
Tut mir leid, ich schreibe kein Tagebuch, deshalb ende ich auch nicht mit "Deine Alexandra" oder so, ich hoffe ihr vergebt mir.

Dienstag, 6. August 2013

Kristin- Wie ich gezwungen werde, Sachen zu tun, die ich nicht tun will

Ich sollte wohl "Liebes Tagebuch" oder so was ähnliches schreiben. Ich bin mir aber nicht so sicher, ob das hier angebracht ist. Das ist schließlich nicht mein Tagebuch. Ich wollte diese Geschichte nicht aufschreiben! Die Psychologin  meinte, es würde uns guttun! Von wegen! Wenn ihr das Selbe erlebt hättet, wäret ihr mit mir einer Meinung. Jeder ist am Ende mehr oder weniger meiner Meinung! Meistens eher weniger, aber das ist hier nicht der Punkt! Ich soll hier eine Geschichte erzählen. Und eine Geschichte erzählt man am besten von Anfang an, oder? Ich bin jedenfalls ein Fan von Geschichten, die von Vorne anfangen.


Ich war gerade dabei meine ganzen Schulbücher wegzuräumen, denn - dem Himmel sei dank! - waren endlich Sommerferien. Für mich war es das beste überhaupt! Sechs Wochen ausschlafen, sechs Wochen keine Hausaufgaben, sechs Wochen keine Lehrer und vor allem: Sechs Wochen lang keine nervenden Klassenkameraden. Wobei Kameraden hier nicht ganz korrekt war. Ich war nicht so gesellig. Meine einzige Freundin, obwohl dieser Ausdruck auch etwas hinkt, lebte in Washington. Kathie war die Tochter eines Angestellten meines Vaters und wenn ich mal in Washington war, übernachtete ich meistens bei ihr. Wir verstanden uns eigentlich ganz gut, wenn da nicht ihre Mutter wäre, die mich jederzeit adoptiert hätte. Ich hatte noch nie eine nervendere Mutter gesehen. "Kristin! Kommst du mal runter?" Ich vergaß: Meine Mutter war ja auch eine Mutter. Ohne die geringste Ahnung auf das kommende, hüpfte ich die Treppe hinunter ins Wohnzimmer. "Ja, Mama?"
Das Wohnzimmer war eine kleine Studentenwohnung für sich. Durch die moderne Glastüre blickte man auf einen pechschwarzen Flügel, der jeden Tag von unserer Haushälterin abgewischt wurde. Um den Flügel standen ein paar altmodische Sessel. Im gesamten könnte man das als unseren Salon betrachten. Rechts daneben war es um einiges moderner. Für seine Familie war meinem Vater nur das Beste recht. Ein langes Sofa aus dem besten Leder und eine Fernsehanlage, die sich nicht jeder reiche Mensch leisten konnte, standen sich gegenüber. Vor dem Sofa stand ein ebenso langer Tisch, auf dem immer die edelsten Leckerreien lagen. Lampen brauchten wir nur wenige, da durch die großen Fenster entlang er Wand genug Sonnenlicht strömte.
Meine geliebte Mutter hatte es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht, was hieß, dass sie kerzengerade mit sorgfältig übergeschlagenen Beinen an der Kante des Sofas saß und ihr rotes Freizeitkleid, das mehr gekostet hatte als meine Musikanlage, ordentlich um sich gebreitet hatte. Mit einer Geste gab sie mir zu verstehen, dass ich mich neben sie setzten sollte. Was ich nach einigem Zögern auch tat. Wenn sie schon so drauf war, war es etwas ernsteres (z.B. die Mitteilung, dass sie Großshoppen geht). Allerdings war es das diesmal nicht, was ich relativ schnell bemerkte.
"Wie müssen reden, Kristin, was bedeutet, dass ich nicht von deinen Kommentaren unterbrochen werden möchte!", fing sie an und unterband gleichzeitig meine Bemerkung, die mir schon auf der Zunge lag. "Du hast sicher mitbekommen, dass dein Vater gerade dabei ist, ein wichtiges Geschäft zu machen." Ich verkniff mir ein ironisches "Nein." und wartete darauf, dass sie fortfuhr. Doch meine Mutter ließ sich Zeit. Wollte sie meine Schweigsamkeit auf die Probe stellen? Oder sie dachte, dass mich das Folgende wütend machen könnte.
"Ich werde nach Washington fliegen", sagte sie dann. Ich zuckte mit den Schultern. Wir flogen in jeden Ferien nach Amerika. "Du bleibst hier", fügte meine Mutter vorsichtig hinzu. Meine Schweigsamkeit hatte sich in Sprachlosigkeit verwandelt. Warum, zur Hölle, kam ich nicht mit!? "Dein Vater und ich haben uns überlegt, dass du zwei Wochen in Berlin verbringst." Sie sprach jetzt sehr schnell und nutzte meine Sprachlosigkeit aus. "Natürlich nicht alleine. Es kommen Aufsichtspersonen mit und Jugendliche in deinem Alter", sagte sie und betonte "Jugendliche in deinem Alter" merkwürdig. Ich sprang vom Sofa. "Warum?", wollte ich wissen. "Ich will nicht nach Berlin! Oder sonst wo hin! Ich will nach Washington!" "Bitte setze dich wieder, Kristin", versuchte sie mich zu beruhigen. Bei mir kam allerdings "Bitte widersetze dich , Kristin" an. Und genau das würde ich auch tun! "Uns ist aufgefallen, dass du keine Freunde hast, Kristin, und jeder braucht Freunde", redete meine Mutter weiter. Also daher wehte der Wind! "Du bist ja auch das leuchtende Beispiel!", konterte ich wütend. "Mit deiner Freundin Lisa! Und außerdem habe ich eine Freundin! Kathie! Wie soll ich diese Freundschaft pflegen, wenn ich nicht nach Washington darf?" Meine Mutter richtete sich - wenn möglich - noch weiter auf und hob herausfordernd die Augenbrauen. "Deine Freundin Kathie? Ihr seid neuerdings Freunde?" Ich vergaß. Ich hatte meine Gerissenheit von meiner Mutter. "Wir haben entschieden, dass du bei diesem Programm teilnimmst und dann für die restlichen Wochen nach Washington kommst! Es ist alles schon organisiert und morgen ist es schon soweit. Hannes wird dich um 9 Uhr zu dem Treffpunkt fahren, wo du mit deinen Mitreisenden weiter nach Berlin fährst. Und keinerlei Wiederrede!"
Hannes! Gutes Stichwort. Er ist unser Chauffeur und Koch in einem - und er ist so etwas wie ein Freund (soweit, wie es bei einem Bediensteten eben geht). Ich wollte ihn gerade erwähnen, als das Handy meiner Mutter zu piepsen begann. Anscheinend war es wichtig, oder sie wollte, dass ich das glaubte, denn sie scheuchte mich aus dem Wohnzimmer, bevor sie abnahm.

Weiter gibt es erstmal nichts zu erzählen. Mein Ausflug war beschlossene Sache und den Rest des Tages hatte ich geschmollt, sodass ich meine Mutter nur noch am nächsten Morgen gesehen hatte. Während der Fahrt hatte ich mir das Schlimmste ausgemalt, aber das, was wirklich passiert war, wäre mir nie in den Sinn gekommen. So steuerte ich ahnungslos meinem Untergang entgegen! Na ja, sooo dramatisch war es nun auch wieder nicht, aber ein bisschen Dramatik muss in jeder Erzählung drin sein!
Und da ich mit "Liebes Tagebuch" angefangen habe muss ich jetzt wohl schreiben: 
"Deine Kristin"